Hausmagazin

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Von gottgegebenen Händchen und souveränen Köpfchen

Marcella Wenger-Di Gabriele, Farbgestalterin HF/BSFA, und Stefanie Wettstein, Kunsthistorikerin, Dr. phil. I

2018

Seit in der Debatte um Disegno und Colore im 16. Jahrhundert die Farbe als Seele der Malerei bezeichnet wurde, sorgt das Bunte an sich für Diskussionen. In der Folge dieses historischen Streites wurde Farbe als Gegenstück zum rationalen Architekturentwurf verstanden, zum emotionalen und nur bedingt berechenbaren Teil der Baukunst. Das ist teilweise bis heute spürbar. Das Unstete der Farben, ihre Veränderungen in Licht und Schatten und nicht zuletzt ihre starke Wirkung wurden und werden misstrauisch beäugt. Die beiden Positionen, das rationale Disegno und das intuitive Colore werden wechselweise als Konkurrenz oder als notwendige und wichtige Ergänzung verstanden – fast wie das Verhältnis von Mann und Frau.

Um messbare Ordnung in das Chaos von Colore zu bringen, haben sich seit dem 19. Jahrhundert zahlreiche Männer um Ordnung und Kategorisierung bemüht. Die Physiologie des Farbensehens wurde exzessiv ergründet, Farbe wurde erklärt und auf ein rein optisches Phänomen reduziert. Wilhelm Ostwald hat sogar einen Grundstein für die systematische Codierung einzelner Farbtöne geschaffen. Diese Ordnung prägt die heutige Kommunikation von Farben für Anstrichstoffe massgeblich. Frauen haben sich weniger um die Systematisierung von Farben gekümmert, als vielmehr um gestalterische Kompositionen und Kollektionen.

Prestige dank Farbe

Tatsache ist, dass Farbe in der Ausgestaltung von Architektur und insbesondere von Interieurs seit jeher eine Rolle spielte. Farbige Ornamente, Malereien oder punktuelle Dekorationen verliehen profanen Interieurs je nach Fülle mehr oder weniger Prestige. Dieses Prestige hat zwei Facetten, einerseits die prächtig geschmückte Umgebung der Gattin des Wohlhabenden und andererseits die Macht und Würde desjenigen, der sich Unnötiges leisten kann. Farbe war luxuriös und kostbar und der Umgang damit verlangte handwerkliche Kenntnisse und malerische Meisterschaft. Damals sprach man von Farbe, wenn von sparsamem, färbendem und dekorativem Einsatz die Rede war. Grossflächiges Anstreichen war Sache des Maurers, man tünchte und kalkte, um das Mauerwerk zu schützen oder hygienische Ansprüche zu erfüllen. Seit bunte Anstrichstoffe jedoch dank industrieller Fertigung in grossen Mengen verfügbar wurden, rückten vermehrt gestalterische Ansprüche in den Vordergrund. Erste Meilensteine wurden mit dem Durchbruch der anwenderfreundlichen KEIM‘schen C-Technik in den 20er-Jahren erreicht, welche unifarbene und grossflächige farbige Anstriche möglich machte. Farbige Volumen bereichern seither das Spektrum des architektonischen Entwurfs, um das Expressive und Malerische. So spielt Farbe in der raumgreifenden Ausgestaltung von Architektur seit damals eine wesentliche Rolle – sowohl bei Architektinnen wie Architekten.

Es scheint noch immer als naturgegeben, dass Frauen für Farben, «ein gutes Händchen» haben.

Theorie vor Praxis

Es ist bemerkenswert, dass das Farbgestalten von Frauen in der Architektur, wenn überhaupt, eher unter dem edleren Deckmantel der Kunst gewürdigt wurde. Es scheint noch immer als naturgegeben, dass Frauen für Farben, «ein gutes Händchen» haben. Und so ist es nicht verwunderlich, dass berühmte Frauen, wie Lux Guyer oder Eileen Gray zwar über ihre konzeptionellen Arbeiten sprachen, nicht aber über die Eminenz der Farbe in ihren Entwürfen. Wogegen Le Corbusier seine polychromen Architekturentwürfe mit akribischer Theorie untermauerte und seinen Umgang mit Farbe in der Architektur schon zu Lebzeiten selbst würdigte und mit dieser verbreiteten Lehre ein beliebtes Regelwerk kreierte. Dass dieses Werk bis heute Ansehen und Marktwert geniesst, spricht dafür, dass theoretisch Untermauertes als Garant für das Gute verstanden wird. Bewahrheitet sich hier ein Stigma mit unsäglichem Alter? Frauen in der Gestaltung verfügen über «ein gutes Händchen», gestaltende Männer dagegen über «souveräne Köpfchen». Der malerische Umgang mit Farbe ist Sache der Frau, er ist nicht wissenschaftlich und deshalb kaum beschreibbar und bedingt relevant. So gilt Farbe noch immer als ein Ausdrucksmittel für Unsachliches, nicht Greifbares und somit in seiner Wirkungsweise als ein nicht objektiv berechenbares Phänomen.

Einengende Klischees

Noch heute nähren Boulevardfutter aus Klatsch und Kommerz, selbst wenn es um das Wohnen geht, so viele Klischees von typisch Weiblichem und typisch Männlichem, dass Frau sich sogleich im Hause von Barbie und Ken wiederfindet. Gender hin oder her, die Klischees sind einengende Konventionen, die unseren Umgang mit Farbe selbst auf professioneller Ebene bestimmen. Indem den einzelnen Farben zugleich eindeutige und widersprüchliche Bedeutungen zugeordnet werden, wird das Spektrum sinnlos zerteilt und die Farbe verliert an Potential. Deshalb wird das Entwerfen mit Farbe oft von sonderbaren Regeln bestimmt, die innerhalb dieser Grenzen enorme Autorität geniessen. Daher ist es im farbgestalterischen Berufsalltag wichtig, Rezepte und Konventionen über Bord zu werfen und stattdessen die grossen Zusammenhänge aufzuzeigen, das Ganze zu denken und konzeptionell vorzugehen.

Wir wohnen in Landschaften

Was das Wohnen anbetrifft, so stellt sich die Frage, ob es nur im geschlossenen Raum, also innerhalb des gebauten Interieurs stattfindet. Frau und Mann leben schliesslich in einer Stadt oder in einem Dorf – also innerhalb von Gebäudelandschaften mit Zwischenräumen, Identität und Kultur. So schweift der Blick von Innen immer auch aus dem Fenster in die unmittelbare Nachbarschaft und umgekehrt bildet die Gestalt einer Fassade die Vorstellung eines Interieurs ab.

So ist es auch mit der Farbe: Private Lieblingsfarben taugen für die Garderobe und Accessoires, vielleicht auch für das Auto. Architektur aber fordert mehr. Hier ist Farbe gemeinschaftlich, ja gesellschaftlich relevant. Deshalb geht Farbgestaltung mit vielfältiger gestalterische Erfahrung und vertieftem Wissen über Farbeeinher: technische und ästhetische Eigenschaften des Farbmaterials, die Wirkung von Farben und Farbklängen im Kontext, sowie das Zusammenspiel der Physiologie des Farbensehens und der Wirkung von Farbe im Raum. Ganz im Sinne von Colore und Disegno hilft beim Umgang mit Farbe aber auch ein emotionaler Zugang. Es geht um Inspiration durch das Schauen und nicht durchangeeignetes Wissen.

Farbe: Mehr als ein erster Eindruck

Wer die Schönheit der Farben, losgelöst vom Wissen über mögliche banale, eklige, traurige oder gar böse Zusammenhänge, sinnlich begreifen will, muss ästhetische Phänomene mit Empathie betrachten. So liegt beispielsweise die Schönheit der Farbefrischen Bluts nicht im Blut selbst, also in der handfesten Realität und den Assoziationen die es auslöst. Vielmehr liegt der Reiz im visuellen Eindruck facettenreicher Glanzgrade, vielfältiger Farbqualitäten und Farbnuancen sowie in der geschmeidigen Oberfläche, die rein visuell erkennbar sind. Es ist inspirierend, ästhetische Eindrücke von Gedanken und Assoziationen loszulösen und sie in thematisch neuen Kontexten wertefrei einzusetzen und zu vermitteln. Nach diesem Gedankenspiel verschwindet der erste Eindruck zugunsten von Ideen zu Glanzgraden und zu vielfältigen Farbnuancen und eleganten Anmutungen, die vielleicht an wertvolle Lacktechniken erinnern. So werden Inspirationen transformiert und können zielgerichtet kommuniziert, in einen sinnvollen Zusammenhang gebracht und konzeptionell in Farb- und Materialkompositionen eingebunden werden.

Keine Kapitulation gegenüber dem Mainstream

Spezialistinnen und Spezialisten für Farbe in der Architektur, stehen manchmal Entscheidungsgremien aus Laien gegenüber, deren Vorurteile und Prägung durch Klischees, Gestaltungsprozesse irreversibel stören können. Hier werden Wirkungsweisen von einzelnen Farben subjektiv bewertet und gestalterische Kompetenzen mitunter übergangen. Um die rationalen Schranken des «Disegno» zu knacken, könnte die Berufung auf theoretisch untermauerte Rezepte von «Männern mit Köpfchen» eine Versuchung zur Profilaxe sein. Kapitulation gegenüber Mainstream und vorgefassten Meinungen kann im Entwurf guter Architektur aber keine Option sein, weil jedes Bauwerk zwangsläufig ein massgeschneidertes und ortsgebundenes Unikat ist. Somit sind also auch das Farb- und Materialgestalten kein Karaoke, sondern feste Bestandteile interdisziplinärer Arbeit in der Architektur. Bewahrheitet wird dies durch die steigende Erkenntnis von Architektinnen UND Architekten, die sich das Potential dieser Disziplin zum Beispiel im Rahmen eines Studiums am Haus der Farbe aneignen.

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