Hausmagazin

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Man scheut sich, Priorität zu setzen

INTERVIEW Vera Bueller

mit DR. ANDRÉ MEYER 2019

Es läuft einiges schief beim Denkmalschutz und bei der Denkmalpflege. Immer mehr Gebäude, Objekte und Ortsbilder werden zwar in Inventare und Verzeichnisse aufgenommen, doch lediglich auf dem Papier als schützens- oder erhaltenswert bezeichnet, nicht aber unter Denkmalschutz gestellt. Dabei verwischen immer stärker die Kriterien und wissenschaftlichen Fakten, nach denen dies geschieht. Denkmalschutz verkommt so zur Beliebigkeit. Dr. André Meyer, den ehemaligen eidgenössischen und Luzerner Denkmalpfleger macht das zornig. Denn wer alles schützt, schützt nichts.

Eigentümer schützenswerter Liegenschaften geraten in Panik, wenn der Denkmalschutz auftaucht.

Wenn das Objekt ins Denkmalschutzverzeichnis aufgenommen wird, bedeutet das durchaus eine Eigentumsbeschränkung. Dagegen kann man allerdings Einspruch erheben und bis vor Bundesgericht gehen. Daneben gibt es noch, seit rund zehn Jahren, ein Bauinventar, in dem erhaltens- und schützenwerte Bauten aufgenommen werden. Das ist zwar nur ein behördenverbindliches Inventar, es hat aber ebenfalls Einfluss auf das Eigentum. Das Problem dabei: Gegen die Aufnahme in das Inventar kann man keinen Einspruch erheben. Und man weiss nicht, woran man ist. Erst wenn mit dem Objekt etwas passiert, entscheidet die Behörde, was erlaubt ist, was nicht und ob es unter Schutz gestellt wird.

Und das bedeutet dann je nachdem eine Wertverminderung?

Ja. Oder das Objekt bekommt einen Liebhaberwert, der vielleicht eine Wertsteigerung zur Folge haben kann. Aber eine solche ist in der Regel verschwindend klein. Bei 99 Prozent der Liegenschaften bedeutet die Unterschutzstellung eine Wertverminderung.

Und das bedeutet dann je nachdem eine Wertverminderung?

Das sehen zumindest die Banken so.

Dafür gibt es aber Subventionen von der öffentlichen Hand.

Das ist je nach Kanton unterschiedlich. Sie decken aber auf keinen Fall die Mehrkosten. Inklusive Bundes- und Gemeindebeiträge kommt man auf maximal 30 Prozent. Die gibt es aber auch nur für die werterhaltenden Kosten, nicht für die wertvermehrenden. Ausserdem reden dann auch noch während der Restaurierung viele Leute drein und machen Auflagen

Das entscheidet darüber, ob etwas unter Schutz gestellt wird?

Dabei geht es um den Zeugniswert, um den kulturhistorischen Wert, um die Bedeutung einer Baute zur Zeit der Entstehung oder auch des Architekten. Entscheidend ist letztlich das öffentliche Interesse – damit kann man allerdings alles rechtfertigen, wenn man will. Der Kanton ist jedoch verpflichtet, immer eine Abwägung zwischen privatem und öffentlichem Interesse zu machen. Und ob diese Abwägung korrekt erfolgt ist, kann man dann von den Gerichten überprüfen lassen.

Gab es in Ihrer Amtszeit als kantonaler und eidgenössischer Denkmalpfleger viele Gerichtsfälle?

Nein, weil die Rekurrenten kaum eine Chance haben. Der Kanton sagt einfach, er habe die notwendigen Abwägungen vorgenommen und das Gericht wird das bestätigen. Das Gericht entscheidet nur über diese Frage, es prüft selber nicht, ob ein Objekt schützenwert ist oder nicht.

Der Denkmalschutz ist in den letzten Jahren zunehmend unter Druck geraten, Gesetze werden aufgeweicht, selbst das Bundesinventar der schützenswerten Ortsbilder der Schweiz (ISOS) wird neuerdings in Frage gestellt.

Das passiert deshalb, weil heute mit den Bauinventaren ein derart breites Gebiet abgedeckt wird, dass fast alles irgendwie erfasst ist. Und dann heisst es schnell: Jetzt ist’s genug. Zu meiner Zeit gab es praktisch nur das Denkmalschutzverzeichnis. Und wenn ein Objekt potenziell schützenswert war, musste der Kanton klar entscheiden, ob es geschützt werden muss oder nicht. Mit dem Bauinventar bleibt alles im Vagen und alle Amtsstellen reden drein. Dazu kommt, dass es laufend neue Erkenntnisse und entsprechend neue Bewertungen gibt. Diese hängen davon ab, was die Gesellschaft grad als schützenswert erachtet und was nicht.

Denkmalschutz ist also stets auch eine Aussage über die Gesellschaft.

Da, er ist Ausdruck der Gesellschaft und der Zeit. Früher wurden beispielsweise jüngere Gebäude nicht unter Schutz gestellt. Damals galt, dass es mindestens einen Abstand von 50 Jahren braucht, um beurteilen zu können, ob etwas schützenswert ist. Heute werden auch jüngere Bauten geschützt, was ich durchaus begrüsse. Was ich allerdings als problematisch empfinde, ist die grosse Ausweitung durch die Bauinventare – so dass heute praktisch alles schutzwürdig ist, alles ist ein Zeugnis seiner Zeit. Und wenn alles schutzwürdig ist, ist nichts mehr schutzwürdig.

Und was sagt das über die heutige Gesellschaft aus?

Man scheut sich heute, Prioritäten zu setzen und die Verantwortung für einen Entscheid zu tragen. Zudem gibt es einen grossen Widerspruch zwischen jenen, die schützen und bewahren wollen und jenen, bei denen die kommerziellen Interessen im Vordergrund stehen.

Ein Beispiel?

Denkt eine Weile nach) Es gibt in der Seeburg bei Luzern den denkmalgeschützten «Jesuitenhof», der 1729 erbaut wurde und Teil einer grossen Hotel-Anlage ist. Nun ist unmittelbar dahinter ein fünfstöckiges, langes Gebäude geplant – in Absprache mit der Denkmalschutzbehörde. Das Ganze ist Teil einer Hotelzone, in der eigentlich nur 20 Prozent Wohnungen und der Rest Hotel sein sollte. Jetzt werden es 50 Prozent Hotel und 50 Prozent Wohnungen – aus kommerziellen Gründen.

Luzern ist Ihre Heimat und hier waren Sie während 18 Jahren der oberste Denkmalschützer des Kantons. Was läuft hier heute falsch?

Ich sage nicht, dass grundsätzlich alles falsch läuft. Aber es gibt einzelne Beispiele, die nicht haltbar sind. Etwa am Pilatusplatz in der Stadt Luzern ein Hochhaus zu bauen, ist völlig deplatziert! Die Stadt als Eigentümerin hat natürlich ein Interesse daran, eine möglichst grosse Ausnützung erzielen zu können. Aber vis à vis steht der Grundhof, der unter Denkmalschutz steht. Da wurde bereits in unzulässiger Form daran heran gebaut und nun soll ein Hochhaus gegenüber gebaut werden. Der Grundhof ist damit quasi verlocht.

Hier hat der Denkmalschutz also versagt?

Ja, ganz klar. Man muss allerdings auch sagen, dass sich die Stellung des Denkmalschutzes generell stark verändert hat. Früher war die Denkmalpflege eine wissenschaftliche Disziplin, es wurde Forschung betrieben. Da waren Fachleute in den Ämtern, die auch publiziert haben. Der Erhalt war also nur die eine Seite, die andere die Forschung. Und die fällt heute fast völlig weg. Heute wird nur noch darüber entschieden, ob man dreinreden und etwas bemängeln will oder nicht. Ich erinnere mich, als wir die Klosterkirche Einsiedeln restauriert haben, da wurde von der Denkmalpflege von Grund auf geforscht. Das ist heute nicht mehr so.

Warum wird nicht mehr geforscht?

Das gehört einfach nicht mehr zu den Aufgaben der kantonalen Denkmalpflege. Zwar ist die Forschung theoretisch noch Teil des Pflichtenhefts, aber sie wird nicht mehr praktiziert. Die Leute sind dafür auch nicht mehr ausgebildet. Die Forschung wird heute an die Hochschulen verwiesen.

Fehlt also das Bewusstsein für historische Bausubstanz?

Es fehlt nicht, aber es ist nicht mehr differenziert vorhanden. Man stützt sich nur noch auf die Literatur. Aber man kann ja nur das schützen, was man auch richtig kennt. Und gerade bei jüngeren Bauten gibt es keine oder nur wenig Literatur.

Haben Sie ein aktuelles Beispiel, wo es an Forschung fehlt?

Oh ja. Das Stadttheater Luzern will man mit einem Anbau erweitern. Bis an die Jesuitenkirche heran. Da müsste man aber erst einmal die ganze Situation mit der daneben liegenden Jesuitenkirche erforschen. Das war der erste grosse Barockbau in der 22 | 23Vom Alten lernen, Neues zu machen | dialog3/19Schweiz, und er steht unter Bundesschutz. Da heisst es nun, man könne unmittelbar daneben bauen, weil es dort einst den sogenannten «Freienhof» gegeben habe. Aber der «Freienhof» war ein gotisches Haus von nur gerade zwei Stockwerken und grenzte nicht unmittelbar an die Jesuitenkirche. Angrenzend an die Jesuitenkirche gab es zwei kleine Ökonomiegebäude. Auch war es nicht so, dass der «Freienhof» an die Jesuitenkirche andockte, sondern umgekehrt, die Kirche dockte an den «Freienhof», respektive an seine Ökonomiebauten an. Ausserdem besass der «Freienhof» einen grossen Innenhof, welcher der Kirche das Licht nicht weggenommen hat. Es ist ein Unterschied, ob ich mit einem eingeschossigen Ökonomiegebäude partiell andocke oder eine über 20 Meter hohe Fassade in unmittelbare Nähe zur Kirche stelle!

Und das Stadttheater?

Das Stadttheater ist ein wichtiger klassizistischer Bau, ein bedeutendes städtebauliches Zeugnis aus jener Zeit – auch wenn es teilweise im Laufe der Zeit verändert wurde. Wichtig ist aber nach wie vor die Reuss-Fassade und ihr städtebaulicher Bezug zum Reusssteg und zur Rathaustreppe. Dennoch steht das Stadttheater nicht unter Schutz, es steht nicht einmal im Inventar – weil es der öffentlichen Hand gehört

Wenn es privat wäre, wäre es anders?

Ja, das bemängle ich. Die Denkmalpflege ist stark abhängig von der öffentlichen Hand. Bei den Privaten unternimmt man alles und wenn es die öffentliche Hand betrifft, ist fast alles gestattet. Das war früher definitiv anders. Damals hat sich die Denkmalpflege erlaubt, gegen die öffentliche Hand Stellung zu nehmen. Beim Stadttheater hätte ich eine klare Stellungnahme des Denkmalschutzes erwartet und nicht einfach ein «Gewehr bei Fuss», ein Abwarten darauf, was der Architektenwettbewerb ergibt, um dann alles vom Ergebnis des Wettbewerbs abhängig zu machen. Wir hätten damals klar gesagt: Einen Anbau gibt es nicht! Wenn ihr ein grösseres Theater braucht, sucht einen anderen Standort für einen Neubau, bevor ihr Millionen für einen Wettbewerb ausgebt. Jeder Private würde zuerst abklären, ob man bauen kann oder nicht

Nun gibt es ja viele Beispiel aus der Stadt Luzern, die zwar unter Schutz stehen, aber doch nicht dem Original entsprechen. Stichwort Wiederaufbau der Kapellbrücke nach dem Brand, geschützte Riegelhäuser werden einfach verschoben, das Luzerner Reusswehr ist eine touristische Mogelpackung – letztlich ist das doch vieles nur mehr Disneyland.

Ja, es läuft in Richtung Disneyland. Aber das echte Disneyland ist nur Disneyland. Das will nicht mehr sein. Schwierig wird es, wenn eine Kopie echt sein will. Ich war kürzlich in Usbekistan, wo man die historischen, zerstörten Stätten wieder aufbaut. Das ist Disneyland. Es will jedoch mehr sein als ein Disneyland, nämlich echt. Dem Tourismus ist die Substanz natürlich egal. Darum haben Rekonstruktionen auch Erfolg. Ich habe ein gewisses Verständnis dafür, dass man Altes wiederherstellen will, wie man es zum Beispiel mit dem kriegszerstörten Dresden getan hat. Aber man soll es klar als Kopie kennzeichnen.

Und was halten Sie von Zweckentfremdungen, etwa ein Restaurant in einer historisch bedeutsamen Kirche einzurichten?

Das ist ein Ausdruck der Zeit. Wenn sich Umnutzungen mit der Struktur des Gebäudes vertragen, finde ich das legitim. Ob das für ein Restaurant in einer Kirche zutrifft, muss man wohl im Einzelfall klären.

Zur heutigen Zeit gehört auch, dass die Raumplanung verdichtetes Bauen verlangt und Häuser energiesparend umgebaut werden sollen. Beides läuft dem Denkmal- und Ortsbildschutz zuwider

Auch da brauchte es eine klare Haltung und man müsste den Mut haben zu sagen, hier gibt es einfach keine Verdichtung. Dazu ein Beispiel aus dem Ortsbildschutz, auch aus der Stadt Luzern: Die Kantonalbank will zwei Etagen aufstocken und droht mit dem Auszug aus der Stadt, wenn das nicht bewilligt wird. Jetzt gibt es eine Lex-Kantonalbank im neuen Bau- und Zonenreglement. Ich sage: Wenn die Bank nicht mehr in der Stadt sein will, soll sie doch gehen. Danach würde das Gebäude ja nicht leer stehen. Es kämen neue Mieter und es entstünden auch wieder Arbeitsplätze.

Aber die Kantonalbank ist eine halb öffentliche Institution mit Staatsgarantie. Da hat der Staat ein Interesse daran, dass sie nicht wegzieht und an einem anderen Ort Steuern zahlt.

Ja, klar. Auf der anderen Seite ist da der Bürger, der irgendwo ein Haus hat und nicht aufstocken kann. Diese Ungleichbehandlung finde ich störend. Was ich mit dem Beispiel aber eigentlich sagen wollte: Generell können die Gesetze der Ökologie und der Raumplanung zum Problem der Denkmalpflege werden, wenn nicht klar Prioritäten gesetzt werden. Dazu gehören auch Solaranlagen, die in gewissen Innenstädten auf den Dächern einfach falsch sind. Oder auch Fassadenisolationen, die an historischen Bauten in einigen Fällen nicht erlaubt werden dürften.

Früher war das besser?

(lacht) Da gab es diese Vorschriften noch nicht. Was aber klar anders war: Da gab es dieses Wischiwaschi nicht. Da ist eine Persönlichkeit der Denkmalpflege mit Wissen und Forschungshintergrund hingestanden, hat entschieden und ist zu dem Entscheid gestanden. Und diese Persönlichkeiten hatten eine hohe Glaubwürdigkeit, wie etwa Professor Alfred Schmid, der während 26 Jahren als eidgenössischer Denkmalpfleger amtete.

Die Eidgenössische Denkmalpflege existiert aber doch noch heute.

Ja, aber sie wurde entmachtet. Heute besteht noch eine Kommission, die eigentlich nichts mehr zu sagen hat. Sie sucht jeweils einen breiten Konsens, was zwar demokratisch ist. Doch die Denkmalpflege sollte klar und fundiert und unabhängig entscheiden.

Die Kommission ist nicht unabhängig?

Die Mitglieder der Denkmalpflege sind grösstenteils kantonale Denkmalpfleger, die doch niemals als Nestbeschmutzer gegen die kantonalen Behörden auftreten wollen. Das ist ganz einfach eine «Säuhäfeli-Säudeckeli-Politik». Und die kantonalen Denkmalschützer sind heute meist Beamte ohne Erfahrung, ohne wissenschaftlichen Forschungshintergrund. Heute ist die Denkmalpflege auch Teil der Baubewilligung.

Sie war früher losgekoppelt vom Baubewilligungsverfahren?

Ja, sie war ausserhalb und konnte je nachdem Einspruch einlegen. Es gab nicht diesen Automatismus. Die Baubewilligungsbehörde ist heute eine Verteilerbehörde, die an alle irgendwie involvierten Ämter eine Kopie eines Gesuchs verteilt. Und wenn eine Stellungnahme negativ ausfällt, gibt es – ohne Abwägung – keine Bewilligung. Auch die Denkmalpflege wird überall zugezogen, muss ein Gutachten abgeben und kann fast überall dreinreden, weil fast alles im Bauinventar steht. Das kostet den Eigentümer – und letztlich den Mieter – eine Menge Geld. Und das Verfahren wird unnötig verlängert. Eine Baubewilligung dauert heute in der Stadt Luzern mindestens sechs Monate. Zuvor hatte man aber schon Kontakt mit allen Ämtern.

Früher war also definitiv alles besser?

Nein. Es ist heute einfach alles anders. Ich sage nicht, früher war alles besser und heute ist alles schlechter. Aber etwas besser war es früher schon (schmunzelt).

Dort, wo falsch entschieden wird, bleibt heute nur noch die Möglichkeit, ein Komitee zu bilden und Unterschriften für eine Initiative zu sammeln? Das haben Sie in der Vergangenheit schon wiederholt getan.

Beim Luzerner Stadttheater wird es wieder auf das hinauslaufen. Da kommt es zur Bildung eines Initiativkomitees und zu einer Volksabstimmung.

Und Sie werden bei dem Komitee dabei sein?

Ganz sicher! Und auch viele andere Fachleute – wir haben schon alles bereit in der Schublade.

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Schön, wenn wir von Ihnen hören.